Rede zur aktuellen Stunde auf Antrag der AFD - "Setzt die Thüringer Landesregierung falsche Anreize mit ihren Aufnahmeforderungen nach dem Brand im Auffanglager für Flüchtlinge in Moria?"

Patrick Beier (MdL) mit einer Rede zur aktuellen Stunde der AFD (30.09.2020)

Sehr geehrte Frau Präsidenten, Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen,

die AfD-Fraktion wirft in dieser aktuellen Stunde eine Frage auf, die – wie so oft – am Wesentlichen vorbeigeht.
In Ihrer Begründung schreiben Sie, man würde „für den Akt der Brandstiftung mit Ausreise in Wunschzielländer wie Deutschland“ belohnt und die „darin zum Ausdruck kommende Anreizpolitik Thüringens“ sei kritisch zu hinterfragen.
Ist das eigentlich ihr ernst? Was soll mir das sagen?
Man muss nur zufällig in einem Kriegsgebiet leben, Haus und Familie zurücklassen, sich auf eine tausende Kilometer lange Reise machen, eine Überfahrt über das Mittelmeer überleben, Monate in einem Elendslager auf einer Insel überstehen, vor einem Brand fliehen, in Obdachlosigkeit leben und schon wird man belohnt?
Ein anderer Punkt, ihr Kampfbegriff der „Anreizpolitik“ entpuppt sich schnell als das, was Kampfbegriffe für gewöhnlich immer sind: 
Inhaltsleer! 
So etwas wie ein migrationsverstärkender „Pull-Faktor“ existiert laut empirischer Forschung schlichtweg nicht.  Die Wirklichkeit schaut nämlich anders aus als in ihrer Filterblase,  wie Dr. Frank Düvell vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung bereits im vergangen Jahr feststellte: „Der Hauptgrund für Migration ist die Lage in den Heimatländern.“
Zusammengefasst möchte ich Ihnen damit sagen: schämen Sie sich!
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Sehr geehrte Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,
Ich will Ihnen sagen was wir, Rot-Rot-Grün gemeinsam mit der Landesregierung hier machen.
Wir übernehmen Verantwortung! 
Wir wollen und werden Menschen aus unerträglichen Situationen retten, wir wollen ihnen eine Perspektive für ein Leben in Würde geben.

Und ja, nicht erst seit den neuesten bekanntgewordenen Aussagen eines Mitarbeiters ihrer Bundestagsfraktion sollte sogar den letzten klar sein, dass Sie keinerlei Interesse an einem würdigen Leben für alle Menschen dieser Welt haben.

Aber wissen Sie was?
Sie sind und werden nie der Maßstab für menschenwürdige Politik sein
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Lassen Sie mich festhalten, dass wir es heutzutage mit einer Gesellschaftsordnung zu tun haben, in der es ein Bekenntnis zu Chancengleichheit nur für Menschen innerhalb der Staaten gibt und das auch nur in einem gewissen Maße, aber es keinen staatenübergreifenden Anspruch auf Chancengleichheit, ja noch nicht einmal entsprechende Bestrebungen gibt, die auf EU- oder gar globalpolitischer Ebene nennenswert wären. Unsere Chancen – man muss es leider so hart sagen – sind jenen Menschen, die aus anderen Staaten kommen und die obendrein vor Krieg, Verfolgung und Menschenrechtverletzungen fliehen, einfach verschlossen.

In diesem Sinne müssen wir uns klarmachen, dass die moderne Welt den Feudalismus scheinbar noch nicht überwunden hat. Denn noch immer bestimmen die sozialen Umstände der Geburt weitgehend die Chancen jedes Einzelnen. 
Beschränkungen der Freizügigkeit dienen dabei auch dem Aufrechterhalten dieser Struktur. Sie helfen dabei Chancen von Menschen mit Talenten und Motivation, aber den in Anführungszeichen „falschen sozialen Geburtsumständen“ zu begrenzen. 
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Wir als LINKE wollen das verändern! Chancenungleichheit egal welchen Maßstabs ist nicht zu rechtfertigen. Einwanderungsbeschränkung, die Chancenungleichheit notwendigerweise nach sich zieht, ist es folglich auch nicht.
Frau Präsidentin, Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Ich möchte an dieser Stelle all Jenen danken, die gegen dieses europäische Grenzregime auf die Straße gehen. Denen danken, die nochmal betonen wie wichtig eine Landesaufnahmeanordnung ist um den eigenen Ansprüchen als Mensch – und den Ansprüchen an die Europäische Union gerecht zu werden.
Wir werden weiter dafür kämpfen, dass wir gemeinsam mit so vielen retten dürfen. Wir werden dafür sorgen, dass ankommende Menschen in Thüringen ein Zuhause finden und in Würde und Frieden leben können. 
Und wenn das bedeutet, dass wir auf unsere Landesaufnahmeanordnung letztlich klagen müssen – das wäre es mir wert!
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.